Liebes Tagebuch,
Alles doof.
Ich trau mich gar nicht mehr in Zoom, so bescheuert sehe ich aus.
Gedichte und Mikroprosa
Liebes Tagebuch,
Alles doof.
Ich trau mich gar nicht mehr in Zoom, so bescheuert sehe ich aus.
Liebes Tagebuch,
Ich habe mich endlich durchgerungen, den Heimtrainer regelmäßig zu benutzen.
Ich denke dabei an viele Filme.
Ich bin vom Lifestyle wegen her endlich bei Hollywood angekommen.
Liebes Tagebuch,
Es hat drei Tage geschneit. Ich wollte einen Tweet schreiben: „Endlich wird der Schnee mal weggeräumt. Wie verhält man sich da, stellt man sich daneben und klatscht?“
Aber dann dachte ich an die armen Menschen die im wie heißt das Krankheitssektor, Gesundheitssektor, na die Krankenschwestern und -brüder, die Pflegepersonen, die im ersten Lockdown den Applaus bekommen haben und sonst nichts. Deshalb hab ich mich auch nicht mehr getraut zu klatschen, weil dann wären die vielleicht betröppelt.
Vorher wollte ich einen anderen Tweet schreiben
„Stellt sich die Schneebrigade tot oder wie erklärt sich, dass der Schnee nicht weggeräumt wird? Budget verbraucht? Alle im Homeoffice? Oder“
Den hab ich sogar noch im Entwürfeordner. Bei dem „Oder“ hab ich angefangen, über Verschwörungstheorien nachzudenken. Vielleicht ist das ja ein Regierungsprogramm, geheim natürlich und von Gates finanziert. „Lasst den Schnee liegen, dann bleiben sie drin.“
Sie hatten sich natürlich lange über den Titel gestritten, er ist halt nicht so sophisticated. Aber die PR-Agentur von Bill Gates konnte sich schließlich durchsetzen.
Übrigens sind die mit dem Schneeschieben jetzt fertig. Von der Haustür bis zum Gehweg ist jetzt frei. Jetzt ist der Staat dran. Oder die Stadt. Kommt drauf an, wen man fragt. Aber diesen Winter fragen wir nicht mehr. Wir denken auch nicht mehr. Macht keinen Sinn. Sonst hätten wir vielleicht noch Lust, was zu sagen. Und das ist zwischen den Extremen nicht mehr lustig.
Liebe Freundin,
Blumen kaufe ich gerade im Supermarkt. Hat die Ästhetik von Klopapier. Klopapier ist nützlich. Klopapier war der Hamsterburner im letzten Lockdown. Zusammen mit Hefe und Mehl.
In diesem gibt es Klopapier. Dafür keine Eiern mehr beim Bauern. Die Leute schleppen wohl 8 bis 10 Packungen raus. Manchmal stell ich mir vor, wie die deutsche Mutti Eierlikör kochend in der Küche steht, während die Kinder sich mit dem Klopapier vom letzten Jahr mumifizieren. Alle lachen und sind fröhlich. Skurrile Phantasie. It’s about the small things.
Ich glaub, ich koch dann auch mal Eierlikör, is ja bald Ostern. Gehe gleich mal in den Supermarkt, der macht in einer halben Stunde auf. Die letzten Tulpen sind auch schon tot. Yay, aufregend. Neue Blumen kaufen.
Ein Zimmer. Wecker 6.05 Uhr. Meditieren, aufstehen, Kaffee, Frühstück. „Bist du müde?“ Dusche. Vorher vielleicht Sport oder raus, walken. Dann mit Sicherheit Dusche. Dann Zimmer. Umziehen. Küche, Tee. Ein Zimmer. Arbeiten. Küche, Tee, Bad. Ein Zimmer. Küche. Mittag. 30 Minuten freier Himmel. Zurück in ein Zimmer. Bad. Küche, Tee. Ein Zimmer. Küche. Feierabend. „Was essen wir heute zum Abendbrot?“ Küche. Essen. Ein Zimmer telefonieren. Küche. Bad. Ein Zimmer. Ein Film. Bad. Ein Zimmer schlafen. Winter 21.
Ich will keine Verantwortung mehr. Ich will nicht mehr noch ein bisschen aushalten und abwarten und diszipliniert sein. Ich will jetzt sofort in einen Laden, ohne zu sagen, wer ich bin und wo ich wohne. Ich möchte langsam oder schnell dorthin laufen, ganz wie es mir gefällt und ohne Nachdenken, ob ich pünktlich zu meinem 15-Minuten-Slot komme. Ich will. Und tue es doch nicht.
Brichst du mit mir heute Nacht die Regeln? Ich will einfach um 21.05 Uhr auf die Straße und beweisen, dass nichts passiert. So wie 20.56 Uhr.
Wir haben uns einen Moment gestohlen. Aus Interpretationen Raum geschaffen, was wir dürfen und genießen das Jetzt. Aber ein Schuldgefühl hockt zwischen jeder Minute und bohrt - muss das wirklich sein? Ja. Muss es. Wir brauchen das jetzt, sonst leben wir ja gar nicht mehr.
Wir halten den Atem an, miteinander isoliert, entfernt allein. Kein Alltag mehr oder noch nicht wieder. Wir reden noch von Normal und dass es zurückkommt. Aber immer öfter der Verdacht, dass wir davon nur träumen. Wir hoffen viel und seufzen zwischen den Sätzen, versuchen Freude und Optimismus, finden kleine Nischen und doch hängt eine Wolke über uns, die manchmal ausbricht und uns in Verzweiflung badet. Die kleinen Dinge werden größer, die Gespräche, die wir noch führen dürfen, die Blumen des Frühlings, egal wie klein. Sonnenstrahlen. Nichts ist mehr gesetzt. Wir wandeln uns und gestehen es uns noch nicht ein.